DOROTHEAS RAUM

Dokumentation und wachsendes digitales Archiv

 

In DOROTHEAS RAUM ist zu jeder Ausstellung ein anderes Bild der Stifterin Dorothea Konwiarz (1932–1999) zu sehen. Es sind die ausstellenden Stipendiatinnen, die dieses auswählen. Im Laufe der Zeit werden die Besucher der Stiftung damit auf wechselvolle Weise durch das Oeuvre von Dorothea Konwiarz geführt. Alle Bilder versammeln sich nach und nach in der digitalen Galerie von DOROTHEAS RAUM.
Zudem sollen im vorausgehenden Text Dorothea Konwiarz‘ Leben und Werk etwas ausführlicher dargestellt werden. Die Ausführungen spiegeln den jeweiligen Stand der laufenden Recherchearbeit wider.

Dorothea Konwiarz – ein Künstlerinnenleben

von Cora Waschke

DOROTHEA KONWIARZ o. T. (Fuß) | 13.09.1948 | Bleistift und Graphit auf Papier | 43 x 30 cm

 

Mit 17 Jahren schreibt sich Dorothea Konwiarz (1932–199), ein Jahr vor dem Abitur, und gegen den väterlichen Widerstand an der Meisterschule für das Kunsthandwerk in Berlin ein. An den kunstgewerblichen Ausbildungsstätten und privaten Kunst-Schulen waren künstlerisch begabte Frauen schon willkommen gewesen, als die prestigeträchtigeren Akademien sie noch ausschlossen. Aus Konwiarz’ frühem künstlerischen Schaffen ist eine Zeichenmappe mit Studien zu Körpern und Faltenwürfen erhalten.

 

 

 

 

 

 

DOROTHEA KONWIARZ Alte Frau (Ein Modell der Klasse Huth/Hofer an der HfBK Berlin) | 1952 | Kohle auf Packpapier

Kaum 20-jährig bewirbt sich Konwiarz dann an der HfbK Berlin, wo sie vorläufig mit der Begründung abgewiesen wird, dass die wenigen Studienplätze zunächst an Kriegsheimkehrer vergeben würden.2 Sie reicht Arbeitsproben ein, darunter das Selbstporträt mit Fliederzweig und roter Perücke von 1950 (Abb. 2), und wird für das Wintersemester 1953/54 in die gemeinsame Klasse von Willy Robert Huth (1890–1977) und Hans Jaenisch (1907–1989) in der Abteilung I: Freie Kunst aufgenommen. Es ist überliefert, dass Karl Hofer (1878–1955) sich wertschätzend über ihre Arbeiten geäußert habe. Nach eigenen Angaben hat Konwiarz bis 1956 Malerei und später Bühnenbild studiert. Laut Studierenden- Akte wurde sie hingegen bereits im September 1954 aufgrund einer schweren Erkrankung exmatrikuliert. Ihren Lebensunterhalt und die Kosten für das Studium hatte Konwiarz mit zahlreichen Nebenjobs über den Studentendienst TUSMA finanziert: sei es mit Babysitting, Altenpflege oder dem Verkauf von Vivil-Bonbons aus dem Bauchladen in Sportarenen und an Straßenecken.

Aus der Zeit ihres Studiums ist eine Vielzahl von Frauendarstellungen erhalten. Besonders diejenigen, die auf Modellsitzungen an der Hochschule zurückgehen, so auch einige Akte (S. 50/51), ähneln den Werken des damaligen Hochschul-Direktors Karl Hofer. Es sind oftmals in sich gekehrte, vereinzelte Figuren in einer nüchternen, der Neuen Sachlichkeit verwandten Malweise (Abb. 3). Nach Konwiarz’ eigenem Bekunden hatten sie zudem Paul Gauguins Frauenköpfe vor Südsee-Kulisse inspiriert. Auffällig ist, dass Dorothea Konwiarz – „die Menschenmalerin“ (O. T.) – in ihrer freien künstlerischen Praxis ausschließlich weibliche Personen malt und zeichnet, darunter viele ältere Frauen, Kriegswitwen und Trümmerfrauen.

„Mit dem Pinsel wollte Dorothea die Dürftigkeit und das Elend erfassen, holte sich ihre Modelle von nebenan, aus der Straßenbahn, von Schwarzmarktplätzen, an den Fürsorgeschaltern. Sie malte die dumpfe Verzweiflung der Überlebenden des großen Mordens. Fühlte sich den Gedemütigten verbunden, den Kriegswitwen ohne Hoffnung, Trümmerfrauen ohne Lächeln […] Dorothea war Malerin. Menschenmalerin.“ Ottokar Fritze.

 

DOROTHEA KONWIARZ o. T. | ca. 1953–55 | Öl auf Leinwand | 64 x 45 cm

Während ihres Malerei-Studiums, das atmosphärisch von männlichem Geniekult geprägt gewesen sein dürfte, entwickelt Dorothea Konwiarz – vermutlich auch, um ihrer eigenen Selbstbehauptung Ausdruck zu verleihen – Bilder moderner Frauen. Für diese Darstellungen in expressiveren Farben nimmt sie sich vereinzelt Freundinnen und Kommilitoninnen als Modelle. Die weiblichen Figuren erscheinen darin jung, selbstbewusst und agil, so wie die lächelnden Frauen mit Getränk und Strohhalm (Abb. 5) oder die lässig an einem Tisch sitzende Freundin mit Pfeife. In ihrer Formensprache erinnern einige dieser Motive an Frauendarstellungen von Henri Matisse.

 

 

 

 

 

 

Nach ihrem Studium geht Konwiarz für ein Jahr nach Amerika, wo in den sechziger Jahren Minimal Art, Op-Art, Pop-Art und Performance-Kunst die Avantgarde neu definieren. Von zwei amerikanischen Galerien wird die Künstlerin für einige Zeit recht erfolgreich vertreten: von den Van Diemen- Lilienfeld Galleries in New York und der German Gallery in Chicago. „Die Bilder von damals“, hält Ottokar Fritze fest, „wurden teilweise verkauft oder gingen bei Auflösung der traditionsreichen Kunststätten verloren“5. In Deutschland erfolgt 1964 Konwiarz’ erste Einzelausstellung in den Kolonnaden des Berliner Hilton. Es gibt aus diesen Jahren eine ganze Reihe von düsteren Bildern, in denen Tusche und Aquarellfarbe in Laviertechnik ineinander verlaufen. Die abstrahierten Darstellungen mit surrealer Anmutung tragen oft Titel, die auf mystischreligiös aufgeladene Orte oder mythologische Figuren verweisen, wie Purgatorium, Opferstätte oder Feuervogel Ruby.

 

 

DOROTHEA KONWIARZ Der große Preis mit Ralf Krüger | Januar 1982 | Fotokopie von Bleistiftzeichnung | Entwurf für Bühnenbild 29,2 x 41,5 cm

Die 1970er-Jahre sind für Dorothea Konwiarz von Auftragsarbeit geprägt. Hierzu zählen auch (Stadt-)Landschaften. Aber existenzsichernd werden die Ausgestaltungen von Geschäfts- und Privaträumen, der Entwurf von Kirchenfenstern, Sgraffiti für öffentliche Gebäude (Abb. 7) und Messebauten in Warschau, Stockholm und Rom gewesen sein. Außerdem realisiert Konwiarz zwischen 1968 und 1982 mehr als hundert Bühnen- und Szenenbilder.

„Ab Ende der sechziger Jahre wurde Dorothea Konwiarz von den beiden großen Sendern (es gab noch keine “Freien”) immer häufiger als Bühnenbildnerin und Bühnenarchitektin herangezogen. An die heute üblichen virtuellen Hintergrunddekorationen war noch nicht zu denken, alles musste detailgenau gezeichnet und ausgeführt werden. Vermutlich mehr als hundert Szenenbilder entwarf und betreute sie für oft nur minutenlange Fernseheeinspielungen, von denen jedes einzelne als Bühnenbild eines abendfüllenden Bühnenstücks hätte dienen können.“ O. F.

 

 

DOROTHEA KONWIARZ Hijacking Serie | 1977/78 | Tuschaquarell | 75 x 100 cm

„Die weltweit Aufsehen erregende Flugzeugentführung der Lufthansa-Maschine „Landshut“, deren Opfer sie wurde, fand in ihrer späten Schaffensperiode den Niederschlag in einem Bilderzyklus ‚Hijacking‘ von albtraumhafter Intensität“ O.F.

Im Gegensatz zu ihrem Bericht über die traumatische Geiselnahme Ich hatte einen bösen Traum, der mehrmals über Radiostationen der ARD läuft, hält Konwiarz die Werkreihe Hijacking, die sie in den Wochen nach ihrer Befreiung anfertigt, zurück. Diese wird erst nach dem Tod der Künstlerin, zur Eröffnung der Dorothea-Konwiarz-Stiftung gezeigt

 

 

 

Nach dieser Werkreihe sollte kein einziges Bild mehr entstehen, auf dem Menschen zu sehen sind. Konwiarz lehnt lukrative Auftragsarbeiten ab und wendet sich in ihrer Malerei der Landschaft zu. „Dinge bis an den Rand der Kenntlichkeit abstrahierend und das Figürliche wie in einem Vexierbild versteckend, entsteht eine Reihe von Aquarellen, Zeichnungen und Ölbildern, die inzwischen fast alle verkauft oder verschenkt sind, ohne dokumentiert zu sein.“ O. T.

 

Dorothea Konwiarz‘ Werke in antichronologischer Reihenfolge ihrer Ausstellung in DOROTHEAS RAUM

 

Auswahl der Werke für Dorotheas Raum

April 2025: DOROTHEA KONWIARZ o. T. | späte 1940er Jahre | Bleistift auf Papier | 31,5 x 49 cm
Dezember 2024: DOROTHEA KONWIARZ Der große Preis mit Ralf Krüger | Januar 1982 | Fotokopie von Bleistiftzeichnung | Entwurf für Bühnenbild 29,2 x 41,5 cm
September 2024: DOROTHEA KONWIARZ o. T. (Fuß) | 13.09.1948 | Bleistift und Graphit auf Papier | 43 x 30 cm
Mai 2024: DOROTHEA KONWIARZ o. T. | 1962/63 | Tuschaquarell | 47 x 54 cm
Februar 2024: DOROTHEA KONWIARZ o. T. (Studie Frau mit Kopftuch) | späte 1940er Jahre | Bleistiftzeichnung| 34 x 30 cm
November 2023: DOROTHEA KONWIARZ o. T. (Studie Faltungen) | späte 1940er Jahre, Bleistiftzeichnung | 40 x 60 cm
September 2023: DOROTHEA KONWIARZ aus der Serie „Hijacking“ | 1977 | Aquarellfarbe auf Papier | 91 x 59 cm
Juni 2023: DOROTHEA KONWIARZ Alte Frau (Ein Modell der Klasse Huth/Hofer an der HfBK Berlin)| 1952 | Kohlezeichnung auf Packpapier
März 2023: DOROTHEA KONWIARZ Junge Frau mit Wasserpfeife | ca. 1953–55 | Kohlezeichnung auf Packpapier | 90 x 60 cm
Februar 2023: Szenenbilder für das Fernsehen von DOROTHEA KONWIARZ | Collage von Ottokar Fritze
Januar 2023: DOROTHEA KONWIARZ Hijacking Serie | ca. 1977/89 | Tuschaquarell | 75 x 100 cm
November 2022: DOROTHEA KONWIARZ o. T. (Junge Frau) | ca. 1953–55 | Öl auf Leinwand | 64 x 45 cm
Oktober 2022: DOROTHEA KONWIARZ o. T. (Frau mit Drink) | ca. 1953–55 | Öl auf Leinwand | 64 x 45 cm
September 2022: DOROTHEA KONWIARZ aus der Serie Hijacking | 1978 | Tuschaquarell | 85 x 65 cm

AISHA ALTENHOFEN & BONNIE BARTH

AABB

18.12.2024 bis 28.3.2025

AABB ist eine Duo-Ausstellung von Bonnie Barth und Aisha Altenhofen, die sich in ihren Arbeiten mit Oberflächen, Verdopplungen und den möglichen Widersprüchen in visueller Kommunikation auseinandersetzen.

Bonnie Barth beschäftigt sich in ihren Serien mit der Aneignung einer bestimmten dekorativen Ästhetik, die sich aus Kitsch und dem in Lifestyle-Magazinen vermittelten ‚Ideal‘ speist. In den Malereien aus Nagellack auf Schaumstoff spielt die Künstlerin mit klassischen Sujets, deren Motivik sie verfremdet und von konnotativer Bedeutung entlädt. Über die derart geschaffene Oberflächlichkeit wird ein medialer Aspekt der Malerei reflektiert, insofern diese die flächige Imitation eines Gegenstandes darstellt.

Aisha Altenhofens Serie Right Writing befasst sich mit der Instabilität von Text und Bild sowie den Mechanismen, durch die sie Bedeutung erzeugen und wieder entziehen. Die Malereien aus dünnen Farbschichten und fragmentierten Formen arbeiten mit der De- und Rekonstruktion von Text. Altenhofens Arbeiten greifen den menschlichen Reflex auf, Sinn in Zeichen zu suchen. Sie entstehen aus einem Interesse an Autorität, Manipulation und widersprüchlichen Narrativen.

Zusammen präsentieren die beiden Künstlerinnen eine Ausstellung, in der sie die Wechselwirkungen zwischen visuellen und sprachlichen Codes innerhalb und zwischen ihren Arbeiten erforschen. Ihre Werke hinterfragen, wie Bedeutung durch Kontext, Oberfläche und Interpretation ständig neu geformt und destabilisiert wird.

 

Fotos 1–4, 7: ©Roman März
Fotos 5,6, 8–13: ©Julian Blum

AMRITA DHILLON

Stipendiatin 2023/24

©Dorje de Burgh
(* in Neu-Delhi, Indien) lebt und arbeitet in Berlin. Bachelor-Abschluss in Geschichte am Bard College, New York. Derzeit Studium der Bildenden Kunst an der Universität der Künste Berlin in der Klasse von Professor Thilo Heinzmann. Ausstellungen u.a. Werkhalle Wiesenburg, 2024, Kunstquartier Bethanien, Berlin 2023, Einzelausstellung: Stil vor Talent Studio, Berlin 2023.

Als Inderin komme ich aus einer Kultur, in der soziale Normen, Kollektivismus und Konformismus eine große Rolle spielen – und in der der Wunsch nach Individualität argwöhnisch betrachtet wird. Diesen Normierungsdruck habe ich immer als sehr beklemmend und einschränkend empfunden. Malerei ist das diametrale Gegenteil davon: Sie ist frei. Zu malen ist für mich daher auf einer ganz persönlichen Ebene vor allem eine Befreiung von sozialer Kontrolle – und dadurch eine Bestätigung meiner Individualität als Mensch im Allgemeinen (sowie als Frau im Besonderen). Ich möchte durch mein Malen einen Kontrapunkt zu gesellschaftlichen Vereinfachungen und Kategorisierungen setzen. Meine Gemälde haben ihren Ursprung oft in alten Familienfotos, gefundenen Bildern und Filmszenen, die ich verfremde, verschönere, verzerre oder verkläre. Ich arbeite mit unterschiedliche Medien wie Druckgraphik, Aquarell, Ölmalerei und Fotografie, die sich in meiner Praxis häufig gegenseitig beeinflussen. Geheimnisvolle Erzählungen und eine gewisse narrative Offenheit bilden zusammen den Kern meines (ästhetischen) Anspruchs als Malerin.

amritadhillon.berlin@gmail.com | amritadhillon.com instagram @amritadhillon.berlin

MIRO BOEHM

Stipendiatin 2023/24

©Lisa Hansemann
MIRO BOEHM lebt und arbeitet in Berlin, studiert in der Klasse von Prof. Ursula Neugebauer an der Universität der Künste Berlin. Zuvor Studium und Abschluss in Modedesign in Berlin (HTW).

Meine Arbeiten sind nach innen gerichtete Fragen, die mir als innere Landkarte dienen. Der malerische Prozess ist dabei ein sehr körperlich betonter, der intuitive Momente beinhaltet. Dabei übernehme ich die Rolle eines Seismografen, um eine Art Seelenfeld aufzuspannen.

Um meinen Erfahrungen und Gedanken eine Form zu geben, habe ich ein Zeichensystem entwickelt, durch das ich meine persönlichen Erlebnisse codiere, bevor sie auf Textil(reste) niedergeschrieben werden. Anhand der Titel möchte ich eine innere Verletzlichkeit preisgeben, die sich in der fragilen Struktur der Materialien fortschreibt. Die gelegten Farbspuren und Zeichnungen wirken dabei wie Andeutungen auf eine Geschichte.

Malen ist für mich etwas Lebensspendendes. Mit meiner Malerei möchte ich mit den RezipientInnen in Verbindung treten. Es ist der tiefe Wunsch danach, eine Berührung zu schaffen, in der Hoffnung dass sich meine Erfahrungen und Erzählungen, die sich in den Werken niederschreiben, mit denen der anderen verbinden, sodass das Individuelle zu etwas Universellem wird.

instagram @miroboehm

CANDY BASSAS

Stipendiatin 2023/24

 (*1992 in Barcelona, Spanien) lebt und arbeitet in Berlin. Abschluss in Illustration und Kostümdesign 2016 in Barcelona, seit 2019 Studentin der Bildenden Kunst in der Klasse von David Schutter an der Universität der Künste Berlin. Schwerpunkt Malerei, Druckgrafik, Schreiben und Musikperformance. Veröffentlichungen: „Landscape of my Youth“ bei Spunpress, London, “All I wanted” Februar 2023 mit Pretty Average Musik Projekt, produziert bei Francisco Parisi. Erste Einzelausstellung im Kunstraum Reuter, April 2024.

 Von einer Praxis, die sich oft auf selbstironische Themen konzentriert, hat sich ihre Praxis in Richtung sozialer Angelegenheiten und konzeptioneller Konnotation verschoben. Die Elemente, die in ihre Bildsprache verwendet, haben sich nicht viel verändert, aber die menschliche Figur scheint das zentrale Thema zu sein, und die Natur ist ein Element, das die Protagonisten dieser Geschichte umarmt, um Symbolik zu implizieren. 

Unter dem sozialen Druck der heutigen Zeit, in der unsere Umgebung durch eine Frage des Überlebens bedroht ist, wird unser Wohlergehen ständig in Frage gestellt, indem uns ein Gefühl von Schuld und Angst vermittelt wird. Die brutale Ideologie scheint nie aufgegeben zu haben und regiert eine Gesellschaft, die einst die Freiheit gekostet hat. All dies weckt eine rastlose Ungewissheit, die sich in den folgenden Bildern widerspiegelt. (2024)

Die Flucht in eine Utopie ist die erste Reaktion, die unser Geist entwickelt, wenn wir einer traumatischen Erfahrung ausgesetzt sind. Ein Spiegelbild von uns selbst flieht vor unserem eigenen Geist und unseren Dämonen, um in einer utopischen Landschaft anzukommen. Diese Landschaft wird behutsam beschrieben und zuweilen annulliert, um die eigenen Erinnerungen und Träume zu reflektieren. Durch unser Unterbewusstsein, das Erinnerungsfragmente zusammenführt, bauen wir eine schlummernde Fantasie auf, um die Verbindung zur Realität zu verhindern. Man erforscht seine eigene Vorstellungskraft, um sich in Naturszenen zu vertiefen, und sammelt Formen der Symbolik von Flucht, anstatt sich mit Konflikten auseinanderzusetzen. Die Darstellungsforschung beabsichtigt, eine eigene Sprache über den Prozess der Wiederholung ähnlicher Motive in verschiedenen visuellen Kunstdisziplinen zu finden. Dieser Prozess verbindet die menschliche Figur und die Natur, die zuweilen bis zur Abstraktion reicht und uns zu einer traumähnlichen Erfahrung führt. Letztlich wird hier der fehlende Bezug zur Realität und die Einschließung der Gesellschaft in den Individualismus hinterfragt. (2023)

www.candybassasartwork.com

VERO HAAS & ANNA-MARIA PODLACHA

hyper blurry light

14.6. – 12.7. 2023

Licht ist der sichtbare Bestandteil elektromagnetischer Strahlung und ermöglicht uns, die Welt um uns herum zu erkennen. Trifft Licht auf Materie, so kann es gestreut, reflektiert, gebrochen oder absorbiert werden. In der Kunstgeschichte steht das Licht – je nach Epoche – für Übernatürliches wie die göttliche Präsenz, oder es wird als zentrales Werkzeug für die Darstellung von Räumlichkeit und optischen Phänomenen verwendet.

Vero Haas und Anna-Maria Podlacha verwenden das Licht, um kitschig-trashige und zugleich düster-nostalgische Stimmungen darzustellen. Der Titel hyper blurry light greift diese paradoxe Atmosphäre auf, in der hyperrealistische Pappbecher und verschwommene Kerzenleuchter im selben Licht umherwabern.

In Anna-Maria Podlachas Bildern scheint ein dunkles Gefühl an die grelle Oberfläche zu drängen. Unter Verwendung von Misch- und Montagetechniken kombiniert die Künstlerin popkulturelle Elemente mit persönlichen Erinnerungen. Die Werke agieren ebenso als Reminiszenz an den Kontrollverlust, an die Vergänglichkeit jeder einzelnen Verführung und des eigenen Lebens wie als Vanitas: Was übrig bleibt, ist Beklommenheit und zugleich ein nüchterner Blick auf die Eskalation der Lüste.

Vero Haas taucht Objekte in ein düster-verschwommenes Licht. Dabei verwendet sie dünn aufgetragene, durchscheinende Farbschichten und graphische Linien. Durch diese Techniken entsteht eine Atmosphäre, in der die dargestellten Objekte eine mystische Qualität erhalten und eine subtile Verbindung zwischen Realität und Imagination geschaffen wird.

Vero Haas | Anna-Maria Podlacha

 

In den Arbeiten von VERO HAAS scheint sich das Licht nicht an der Oberfläche zu brechen, sondern die Räume und Dinge muten an als würden sie aus sich selbst heraus sanft in einen dunklen Umraum leuchten. Vero Haas arbeitet mit Pigmenten, die sie in zahlreichen dünnen Lasuren auf der Leinwand übereinanderschichtet. Die langwierige und behutsame Malweise führt zu Bildern, die eine tiefe Ruhe ausstrahlen. Der transparente Farbauftrag wirkt fast entmaterialisierend auf das Dargestellte und die Malerei selbst. Man könnte meinen, die Leinwände hätten roh in einem Raum gehangen und die Umgebung wie für Stimmung und Licht empfindliche Flächen aufgenommen. Etwa das Bild eines Kerzenständers „Vier Kerzen“ (2023), in dem die Flammen wie Geister auflodern.

ANNA-MARIA PODLACHAS Werke zeichnen sich durch eine überbordende Ornamentik der Alltags- und Underground-Kultur aus, die über den Kitsch hinaus auf die Spitze getrieben wird; soweit, dass die Wahrnehmung der grellen Oberfläche in ein Gefühl des Unbehagens kippt. Explizit wird diese Ambivalenz in dem Bild, in dem scheinbar ein Trinkgefäß geworfen wird. Nicht in Richtung des Betrachters – es handelt sich nicht um eine Publikumsbeschimpfung – sondern in Hibiskusblumen in bekannter Feel-Good-Stilistik hinein. Im Hintergrund zeigt sich auf den zweiten Blick ein sich wiederholender Schriftzug „no more“, der auch den Titel der Arbeit bildet. Dieses Sowohl-als-Auch ist nicht nur innerhalb eines Einzelwerks sondern im Gesamtwerk der Künstlerin zu finden. So überrascht es zwar zunächst, dass eine Arbeit wie „in another light“ mit ihren lichten Strukturen vor samtig-dunklem Hintergrund ebenfalls zu ihrem Werk gehört. Es ergänzt die anderen Arbeiten der Ausstellung aber in der Vorstellung eines mentalen Nachglitzerns nach einer heftigen Party.

Cora Waschke

 

VERO HAAS

 

ANNA-MARIA PODLACHA

ELENI MANOLOPOULOS & EMMA ZIMMERMANN

empty set

10.5.–7.6.2023

Die Dorothea Konwiarz Stiftung freut sich, die Ausstellung von Eleni Manolopoulos und Emma Zimmermann zu präsentieren. 

Die beiden Stipendiatinnen des Förderjahrgangs 2022/23 bringen ihre ganz unterschiedlichen Werke unter dem Titel empty set zusammen. Mit diesem Begriff aus der Mengenlehre, den sie in ihrem Text als Bezeichnung für das Nichts als etwas Seiendem kennzeichnen, verweisen sie auf das für die Bildende Kunst grundlegende Phänomen des Sichtbarwerdens von etwas Unbeschreiblichem.

 

„Empty set ist ein Begriff der Mengenlehre und bezeichnet die leere Menge. Entgegen der Annahme, das empty set sei äquivalent zum Nichts, bezeichnet es die Menge, welche das Nichts enthält. Damit wird das Nichts als Nichtseiendes zu einem Seienden, zu etwas Beschreibbarem, das durch die Menge zusammengefasst wird. Das empty set ist eine formale Sprache. Sie ist die Sprache, die keine Wörter enthält, also die leere Sprache. Es gibt nur eine leere Sprache und als Teilmenge einer jeden anderen Sprache ist sie universal.

Kunst ermöglicht es Inhalte, die sich der natürlichen Sprache entziehen, zu vermitteln. Dazu entwickeln Künstler*innen ‚formale Sprachen‘ bestehend aus Farbe, Form und Komposition. Auch bei völlig disjunkten, unterschiedlichen künstlerischen Praktiken teilen sich alle künstlerischen Sprachen die leere Menge, empty set, und das Bestreben, etwas zu vermitteln, das sich der natürlichen Sprache entzieht, etwas zu beschreiben, das nicht beschreibbar ist. 

Manopoulos Formensprache besteht aus abstrakten Formen, Buchstaben, Zahlen, Farbe und Komposition. Dabei fertigt sie von der Zeichnung ausgehend Malereien und Grafiken an. Die in der Ausstellung präsentierten Ölmalereien zeigen die Wirkung von exzentrischem Weiß und konzentrischem Schwarz. Für sie und ihre Arbeit gilt: „Ohne Disziplin keine Freiheit, ohne Fessel keine Intensität. Nicht nachdenken, sondern fühlen, nicht verstehen, sondern wirken lassen.“ (Sharon Eyal)

Zimmermann versucht, Machtverhältnisse neu zu denken und dafür eine visuelle Sprache zu finden. Themen wie Wut und Verletzlichkeit tauchen in den Arbeiten auf und gleichzeitig die Frage, wie man Wut zeigen kann, ohne Bilder patriarchal geprägter Strukturen zu reproduzieren. Unteranderem werden handgeschmiedete Stahlspitzen als malerische Elemente eingesetzt, textile Stoffe werden durch eine Kombination aus Tanz- und Reinigungsfrottage zu Malereien, und experimentelle Drucke entstehen durch ein bedachtes Aufschichten von gesammelten Stoffausschnitten. Zimmermanns Arbeit bewegt sich zwischen der Lust am Aufrütteln, das Unbequeme herauszukitzeln, produktiver Wut und dem akribischen Erforschen, sensiblen Beobachten von textilen Stoffen und deren Kontexten.“

Eleni Manolopoulos studiert seit 2019 Bildende Kunst an der Universität der Künste Berlin in der Klasse von Prof. Christine Streuli, zudem Sprache & Gesellschaft und Informatik an der Freien Universität Berlin. Seit 2021 ist sie Stipendiatin des Cusanuswerkes.

Emma Zimmermann *1997 in Großburgwedel, lebt und arbeitet in Berlin, studiert Bildende Kunst an der Universität der Künste Berlin in der Klasse von Prof. Christine Streuli. Sie war Preisträgerin des Anerkennungspreises der Walter Stöhrer-Stiftung 2021/22.

 

 

ELENI MANOLOPOULOS’ gleichmäßiger Farbauftrag lässt die Stofflichkeit der Malerei fast vergessen. Die monochrom erscheinenden Farbgründe erhalten durch ihre vielfarbigen Lasurschichtungen ihre Tiefe und Leuchtkraft. Wobei die psychophysische Wirkung von Farben und Farbkompositionen für die Künstlerin wichtig ist – wenn etwa ein exzentrisches Rot mit einem, nach Kandinsky, konzentrischen Schwarz von Kreisen, Linien, Zahlen und Buchstaben ringt. Diese rätselhaften Notationen gehen auf existierende Rechnungen aus der Mathematik zurück.

Im Zentrum von EMMA ZIMMERMANNs Werk steht die Leinwand, der Stoff.
Die Leinwand ist das grundlegende Material der Malerei, einer traditionell männlich geprägten Gattung. Der Stoff, der gewebt, vernäht und bestickt wird, ist hingegen mit der weiblich konnotierten Textilkunst und der Handarbeit verknüpft. Von dort aus ist es in der Assoziationskette nur ein kleiner Schritt zur Hausarbeit und dem Wischtuch.
Emma Zimmerman reibt sich an derartigen Zuschreibungen und reibt den Leinwandstoff über den mit Farbe bedeckten Boden. Auf diese Weise entsteht eine Frottage, eine Reinigungsfrottage, wie die Künstlerin sie nennt. Diese wird von ihr vernäht, bestickt, mit Sinnsprüchen aus Haushaltsbüchern aus den 50er bis 70er Jahren bedruckt – und durchbohrt mit von der Künstlerin handgeschmiedeten Stahl-Spießen, die Emma Zimmermann bezeichnenderweise Spießer nennt.

Cora Waschke

ELENI MANOLOPOULOS

EMMA ZIMMERMANN

SOLWEIG DE BARRY | JOSEPHINE HANS

floating concrete

22.3. – 3.5.2023

Eine Flüchtigkeit, die inmitten des urbanen Lebens zu schweben scheint. Ein Zustand des Übergangs, der Unbeständigkeit, jener Augenblick, der sich zwischen dem Festen und dem Flüchtigen befindet, kurz vor der Ewigkeit. Die Farben und Formen, die in den Werken von Solweig de Barry auftauchen, während sie bei Josephine Hans aufblitzen, sind Fragmente des alltäglichen Geschehens, Momentaufnahmen aus dem Fluss des Überflusses.

Solweig de Barry modelliert in ihren Arbeiten neue Welten. Mittels Substraktion zerlegt sie den Bildgegenstand sukzessive und verhandelt damit die Begrenzungen des ursprünglichen Bildmotivs und die ihm innewohnende Flüchtigkeit neu. Durch die radikale Reduktion von Perspektive, Bildaufbau und Realitätsnähe entwickelt die Künstlerin in der farbigen Flächigkeit der Formen und Linien so ein neues, immaterielles Abbild persönlicher Momente.[1]

Josephine Hans hingegen sucht nach flüchtigen Erscheinungen, nach immer neuen Erzählformen. In ihrer Arbeitsweise manifestiert sich die Veränderung durch Wiederholung, wobei Geschwindigkeit zu ihrer zentralen Strategie wird. Ihre Arbeiten sind ein Ausflug in die Farbmetastruktur unserer Gegenwart: Schnell. Kurz. Unpräzise. Unbeholfen. Mehrfache Variationen desselben Motivs werden zur Erzählung unserer Zeit.

So schweben die Werke von Solweig de Barry und Josephine Hans zwischen Konkretem und Unkonkretem, zwischen Überfluss und Reduktion, zwischen Schwere und Leichtigkeit. Sie halten die Balance zwischen Figur und Abstraktion und schaffen ein neues Bild unserer Zeit, das sich der Flüchtigkeit der Ewigkeit bewusst ist. Ein Leben auf Asphalt. Ein Meer aus Plastik. Eine Erinnerung an Bananensplit. Ein Geschmack, der zerfließt. vergeht. verfliegt.

Solweig de Barry | Josephine Hans, 2023
[1] Auszug aus dem Text Relikte des Temporären zu den Arbeiten von Solweig de Barry von Sonja-Maria Borstner

ISABELLA BRAM | SINA LINK

wonky wave

15.2. – 15.3.2023

In wonky wave schaffen Isabella Bram und Sina Link ein Spannungsfeld von Inszenierung und Alltäglichkeit. Die Künstler:innen spielen mit subtilen und widersprüchlichen Sinnbildern, Sujets und Zeichencodes, ohne eindeutige Rückschlüsse auf deren Entschlüsselung zu bieten. Sowohl Bram als auch Link arbeiten in einer fließenden, freien Materialität. Die Arbeiten sind plastisch und raumgreifend, im Wechselspiel von Nähe und Distanz wirkend. Es ist der Dialog mit den Werken, aus dem eine Aktivierung und damit eine Entschlüsselung des Bild-Positiven im Fall von Sina Link und der codierten Rätsel im Fall von Isabella Bram hervorgeht. 

In Isabella Brams Arbeiten sind Bildobjekte Träger von assoziativen Zeichencodes. Durch die ineinandergreifenden, sich überlagernden Objekte und Oberflächen ergeben sich ganz unbestimmte Verbindungen und ambivalente, sinnbildliche Rätsel. Zwischen malerischen und bildhauerischen Methoden arbeitend, bricht Isabella Bram mit dem konventionellen Malereibegriff und schafft Bildträger, die aufgrund ihrer Plastizität raumgreifend und anregend wirken. Alltägliche Bilder und Objekte werden aus ihrem Kontext herausgerissen und durch penible, kontrastreiche Arrangements in neue Beziehungen gesetzt. 

Sina Links Werke erinnern auf den ersten Blick an Seestücke der traditionellen Malerei. Doch die Fotos, im Siebdruckverfahren auf Reflektorstoff gedruckt, wurden von der Seenotrettungsorganisation SOS Humanity im Mittelmeer aufgenommen. In ihrem Werk verhandelt die Künstlerin die grausame vorherrschende Ambivalenz, wenn das Meer einerseits als Sehnsuchtsort und andererseits als endlose Wassermasse, die Menschenleben schluckt, wahrgenommen wird. Durch Lichteinfall findet eine Umwandlung ins Positiv statt. Motive und Strukturen, die aus jeder Perspektive und jedem Blickwinkel anders erscheinen, werden sichtbar gemacht. Aus dem entstandenen Spannungsfeld zwischen Inszenierung in feinfühliger Ästhetik und Alltäglichkeit ergibt sich die enorme Kraft der Sichtbarmachung der Tragödie. 

Luis Bortt 

MOMO BERA | ANA TOMIC

resting in a haunted house

11.1. – 8.2.23

Die Dorothea Konwiarz Stiftung freut sich, das neue Jahr mit der Ausstellung von Momo Bera (Stipendiatin 2022/23) und Ana Tomic (Stipendiatin 2021/22) zu eröffnen. Der Jahreswechsel ist traditionsgemäß laut, um böse Geister zu vertreiben. Unsere Stipendiatinnen lassen in ihrer Ausstellung hingegen Geister aufscheinen: Sind es bei Ana Tomic Geister der Kunst- und Kulturgeschichte, sind es bei Momo Bera innere Geister, die sich aus einer unbekannten Vergangenheit hervordrängen.

„Jaques Derrida forderte, dass wir lernen, mit Gespenstern zu leben. Er sah Gespenster als die Figuren des Dritten, die von vornherein alle das abendländische Denken prägende Binarismen unterlaufen. Er siedelt die Gespensterfigur im Raum des Zwischens an. Gespenster erscheinen gleichsam als Zeithybride, Fragmente der Vergangenheit, die in der Gegenwart wirken und als offene Fragen die Zukunft heimsuchen. Sie sind ein Aufdrängen des Erinnerns, des individuellen und kollektiven, ohne dass die Erinnerung sich zwangsläufig als solche preisgibt. In der Ausstellung „resting in a haunted house“ berühren Ana Tomic und Momo Bera Themen der Erinnerung, der Erinnerungswürdigkeit, der Historizität von Raum und Körper, sowie seiner Unsichtbarmachung.“

Momo Bera & Ana Tomic